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„Der ganze Druck hat sich gelohnt“

7 Mär
Amsterdamer Malplaquetstraße

Copyright AmMa65

Wenn ein Haus zum Verkauf steht, heißt das in Berlin meist nichts Gutes für die Bewohner*innen. Wenn sie organisiert sind, kann sich das Blatt wenden. Wer das Haus Ecke Amsterdamer
/Malplaquetstraße kauft, bekommt „54 Menschen und 4 Generationen Kampfgeist“ oben drauf.

Es war Zufall, zumindest fast. Als eine frühere Bewohnerin zu Besuch war, wurde im Hinterhof kurz vorher ein Mann in beigem Kashmirmantel angetroffen. Kein typisches Outfit in der Gegend. Skeptisch geworden, was das zu bedeuten habe, durchforstete sie kurzerhand das Webportal Immoscout. Und siehe da: Das Haus in der Malplaquet Ecke Amsterdamer Straße wurde unter dem Titel „Altbau-Eckhaus mit Potential in Berlin-Wedding“ zum Kauf angeboten.

Was dieses Potential sein kann, davon können Berliner*innen ein Liedchen singen. Der Wedding soll ja schon seit den 1990er Jahren im Kommen sein. Und bevor er kommt, geht er auch schon wieder. Seit 2008 sind die Mietpreise bei Neuvermietungen in Berlin um 76 Prozent gestiegen. Sage und schreibe: sechsundsiebzig. Da hat so ein Eckhaus im kommenden Wedding, in dem noch mit Kohleöfen geheizt wird, Potential. Potential für Sanierung, Balkone, Modernisierungen. Und vor allem: ordentliche Mietsteigerungen.

„Eine starke und organisierte Mieterschaft“

Allerdings wurde diese Rechnung ohne die Bewohner*innen der AmMa65 gemacht: „Wenn Sie dieses Haus kaufen, bekommen Sie eine starke und organisierte Mieterschaft“, steht an der Eingangstür geschrieben. „Getrieben von existenziellen Ängsten“, sagt Sandrine, „baute sich viel Mobilisationsfähigkeit bei uns auf.“ Sandrine ist im Vorstand des Hausvereins, der sich gerade in Gründung befand als die Anzeige bei Immoscout auftauchte. „Es war klar, dass der erste Schritt eine Kontaktaufnahme mit der Stadt sein musste.“ Auch die Bewohner*innen wollten das Haus kaufen. Doch die Hausverwaltung, die das Haus zum Verkauf angeboten hatte, nahm die Mieter*innen nicht ernst. Für sie war es unvorstellbar, dass sich Mieter*innen zusammenschließen und gemeinsam ein Haus kaufen können. „Sie haben nicht gedacht, dass es uns möglich sei, diese 3,5 Millionen zusammenzukratzen“, erzählt Sandrine. Und sie haben gesagt, es sei zu spät.

Vorkaufsrecht und Selbstorganisation

„Wir haben trotzdem weitergemacht.“ Die Organisierung nahm an Fahrt auf: Transparente wurden in die Fenster gehängt und Pressearbeit gemacht. Es wurden alle Möglichkeiten in Erwägung gezogen, das Haus für die Bewohner*innen zu sichern: ein Kauf durch eine städtische Wohnungsbaugesellschaft, ein Genossenschaftsmodell, eine Stiftung als Käuferin, das Mietshäusersyndikat. Durch jahrelange Vorarbeiten konnte auf Wissen und Kontakte zurückgegriffen werden. „Wir haben uns wöchentlich getroffen, teilweise mehrmals in der Woche“, sagt Aaron, ein anderer Bewohner des Hauses. „Wir haben manchmal Tag und Nacht gearbeitet“, stimmt Sandrine mit ein. Denn es musste noch kurz vor Weihnachten ein Käufer von den Mieter*innen präsentiert werden, um das Vorkaufsrecht ausüben zu können. Durch Ausschlussprinzip schälte sich der Kauf durch die Stiftungen „Umverteilen!“ und „Nord-Süd-Brücken“ als die bestmögliche Variante heraus. Nur so konnten die erschwinglichen Mieten gesichert und auch schnell das Geld aufgetrieben werden. Doch auch mit den Stiftungen gab es zähe Verhandlungen um die zukünftige Pacht. „Aber die Stiftungen haben einen großen Schritt auf uns zu gemacht“, sagt Sandrine

MährenScreenshotInstagram

Scrennshot, Instagram von JM

#JamesBlond mit Herz kauft Miet(s)häuser?

Erst durch die Presse erfuhren die Bewohner*innen, dass ihr Haus von einer der vielen GmbHs der Mähren AG gekauft wurde. Sucht man Jakob Mähren im Internet findet sich sein Instagram-Account. Dort bezeichnet er sich als „CEO & Founder of Mähren AG“ und „Real Estate & Start up investor“. Es finden sich Fotos vom Weinshopping in Frankreich, einer Safaritour in der Steppe und von einem Kopfsprung in den Pool des Four Seasons Resorts auf den Seychellen. Dort hält #JamesBlond am Strand auch Ausschau nach seinem Bondgirl… „Life is a game. And I play to win.“ Lebt sich wohl ganz gut, wenn man in Berlin ein paar Häuschen kauft. #wirkaufenmiethäuser [sic]. Was fürs Herz gibt’s aber auch zwischendurch: ein Bus für die Berliner Kinderhilfe, zu Weihnachten. Da snowboardet es sich gleich besser ins neue Jahr.

Die Tücken des Baugesetzbuches

Am gleichen Tag als die Stiftungen zusagten, haben die Bewohner*innen erfahren, dass Mähren die Abwendungsvereinbarung schon unterschrieben hatte. Mit dieser Vereinbarung ist das Vorkaufsrecht für die Bewohner*innen passé. Der*die Käufer*in kann die Ausübung des Vorkaufrechts abwenden, wenn versichert werden kann, dass das Grundstück unter anderem im Rahmen des sozialen Erhaltungsrechts bzw. den städtebaulichen Erhaltungszielen entspricht. Das regelt § 27 des Baugesetzbuches. So was muss man erstmal wissen, wenn man sich selbst organisiert. War nun alles umsonst?

#zusammenfürwohnraum

„Dieser ganze Druck, den wir aufgebaut haben, hat sich gelohnt. Wir haben nun ein ganz anderes Gewicht“, sagt Aaron. Öffentlichkeit wird zum Schutz – zumindest wenn die Käufer*innen reale Personen mit Instagram-Account sind und sich gut darstellen wollen. Doch Auch in anderen Fällen hat sich Selbstorganisation schon als das Mittel erwiesen, mit dem das Zuhause geschützt werden kann. Man schaue nur zu den Leuten vom Pankower Mieterprotest oder in die Koloniestraße. Und auch hier gibt es eine aktive Netzwerkarbeit, in der sich Mieter*innen gegenseitig beraten und unterstützen: Das nächste Treffen von #zusammenfürwohnraum findet am 27. März 2018 statt. Der Ort wird noch bekannt gegeben.

Wie es aktuell weiter geht mit dem Weddinger Eckhaus und was mit Mieter*innenselbstorganisation trotz kapitalistischer Widrigkeiten noch so alles erreicht werden kann, könnt Ihr am Montag, den 12. März 2018, in der Groni erfahren. Wir haben die AmMa’s und Leute aus der Seumestraße eingeladen, damit sie berichten, wie sich Mieter*innen unterschiedlichster Alterstufen, mit verschiedenen Sprachen und Lebensentwürfen zusammentun und sich gemeinsam wehren können. Los geht’s um 19.30 Uhr.

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